Über 700.000 Jungen und Mädchen kommen nach den Sommerferien in die erste Klasse, es sind unsere nächsten Erstklässler. Normalerweise werden sie darauf in der Kita auf die Einschulung vorbereitet, durch Übungen in den Vorschulklassen. Aber auch durch Besuche in der Schule, Kontakt zu Mitschülerinnen und Mitschülern oder zur neuen Lehrkraft. Für die meisten Kinder hat die Vorbereitung in diesem Jahr nicht stattgefunden. Der Schulbesuch wurde abgesagt, die Vorschulerziehung in den Gruppen ist ausgefallen.
Erstklässler werden ins kalte Wasser geworfen
Wenn dann die Schule nach den Sommerferien beginnt, wie auch immer die Virus-Situation dann aussieht, wird es gravierende Unterschiede zwischen den Erstklässlern geben. Von völlig unvorbereitet bis massiv überfördert wird sich der Leistungsbogen spannen. Die große Unsicherheit der Gesellschaft und unter den Eltern zeigt sich auch im Umgang mit der fehlenden Schulvorbereitung. Manche können einfach nicht, manche wollen nicht.
Überfordert, unter Zeitdruck und am Rande des Nervenzusammenbruchs
Eltern aus systemrelevanten Berufen, die neben ihrer Arbeit auch die Kinder und den Haushalt versorgen müssen, werden sich wenig Gedanken zur Vorbereitung auf die Schule machen können. Selbst Pädagogen und Lehrkräften, die in der Sache fit sind, fehlt schlichtweg die Zeit dazu. Je länger die Krise dauert, desto mehr ziehen Frustration, Desinteresse und die Motivation in die Haushalte ein. Darunter leidet auch die Vorbereitung der Erstklässler. Manche entwickeln sogar Angst vor der Schule.
Langeweile, Qualitätszeit und Erholung pur
Es gibt aber auch nicht wenig Familien, die die Kontaktsperre ganz entspannt zu Hause verbringen und viel Zeit haben, sich um ihre Kinder zu kümmern. Die fehlende Vorbereitung durch den Kindergarten kompensieren sie einfach selbst. Diese Kinder lernen in wenigen Monaten den gesamten Schulstoff der ersten Klasse. Sie können im Zahlenraum bis 20 rechnen, kennen das Alphabet und lesen erste, kleine Texte. Nach den Sommerferien werden sie sich im Unterricht langweilen. Eventuell wundern sie sich sogar, dass andere Kinder dieses Wissen noch nicht haben.
Lehrerinnen und Lehrer im Dauer-Spagat
Unterricht wird auch nach den Sommerferien nicht einfach sein, ganz bestimmt nicht mit den Erstklässlern. Das Einhalten der Hygieneregeln und des Mindestabstands fordert von Lehrkräften schon einiges. Hinzu kommt jetzt noch die krass unterschiedliche Vorbereitung der Kinder auf das Schuljahr. Differenzierung ist natürlich immer ein Ziel im Unterricht, aber der Spagat darf eben nicht zu groß werden. In Kombination mit einer dezimierten Lehrerzahl durch den üblichen Lehrermangel und den Ausfall der Risikogruppen, reduzierten Unterricht und erhöhte Anforderungen wird die Pandemie in der ersten Klasse 2020 zu einer riesigen Herausforderung.
Kein Kind darf verloren gehen
Diplompädagogin Uta Reimann-Höhn, Autorin, Redakteurin von www.lernfoerderung.de und Lerntherapeutin, sieht dieser Situation mit großen Bedenken entgegen. Die Unterschiedlichkeit der Jungen und Mädchen im kommenden Schuljahr kann nur durch personelle Aufstockung aufgefangen werden. Sie empfiehlt, den Betreuungsschlüssel in den Klassen zu verdoppeln, um starken und schwachen Schülern gleichzeitig gerecht werden zu können.
Zusätzliche Lehrkräfte sind eine Investition in die Zukunft
„Nur wenn es uns gelingt, auch im kommenden Schuljahr jeden einzelnen Schüler mitzunehmen, sind wir für die Zukunft gut aufgestellt.“ Reimann-Höhn appelliert an die Politik, die öffentlichen Geldgeber und an den gesunden Menschenverstand, damit nicht die Hälfte eines gesamten Jahrgangs durch die Pandemie zurückgelassen wird. „Wer sich in der ersten Klasse schon dümmer als die anderen fühlt, wird keine Lernmotivation entwickeln. Diese Grundhaltung zieht sich leider bei den meisten Kindern über die gesamte Schulzeit durch. Das müssen wir verhindern!“