Die Reaktionen auf den Erfolg der Grünen in Hessen sind durchaus unterschiedlich: Die einen halten die Abschaffung der Schulnoten für eine längst notwendige Reform, die anderen sehen darin den Untergang des Bildungslandes.
Da geht die blanke Angst um – oder doch nicht?
Sind die Leistungen der Schulkinder nicht mehr vergleichbar? Können sich Lehrer nicht mehr durchsetzen? Wird die Entscheidung über die Schullaufbahn jetzt diffus und undurchsichtig? Wo bleibt die Gerechtigkeit ohne Schulnoten? Werden die Eltern überhaupt noch mitbekommen, auf welchem Leistungsstand ihre Kinder sind?
Ganz so krass, wie es klingt, ist die Entscheidung nicht. Hessische Schulen dürfen ihren Schülerinnen und Schülern künftig auch schriftliche Bewertungen ausstellen, anstatt sie mit Ziffernnoten zu bewerten. Im Koalitionsvertrag wird das als „pädagogisch neue Wege gehen“ bezeichnet. Schulnoten erscheinen zunehmend ungerecht und überflüssig.
Vollständige Sätze anstelle von kargen Ziffern bei Schulnoten
Anstelle von Schulnoten können die Schulen „Rückmeldungen über den Lernfortschritt und den Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler in Form einer schriftlichen Bewertung geben“. Sobald eine Schülerin oder ein Schüler die Schule verlässt oder wechselt, muss ein Zeugnis mit Ziffernnoten ausgestellt werden.
Von dieser Regelung sind in Hessen 1800 Schulen betroffen, davon rund 1100 Grundschulen und ca. 200 berufliche Schulen. Diese Regelung gilt aber nur für jene Jahrgangsstufen, bei denen kein Wechsel auf eine weiterführende Schule ansteht.
Bundesweit verzichten bereits viele Schulen auf Noten
So neu ist die Regelung jedoch nicht, denn schon einige Gesamtschulen arbeiten ohne Ziffernnoten. Jetzt sieht der Koalitionsvertrag allerdings keine Beschränkung auf eine Schulform vor, also auch Gymnasien könnten künftig auf die Neuregelung zurückgreifen. Mit der Betonung auf könnten, denn die Neuregelung ist ein Angebot, keine Pflicht.
Anstelle der Noten müssen sich die Lehrer nun etwas mehr Mühe geben und Wortzeugnisse erstellen. Viele Pädagogen halten das für eine kluge Entscheidung. Bundesweit ist diese Entscheidung nicht besonders innovativ, denn an den meisten Grundschulen gibt es vor Klasse drei kein Ziffernnoten mehr. Und auch viele weiterführende Schulen haben sich von den Ziffernnoten verabschiedet.
Die Vergleichbarkeit von Noten ist eine Scheingerechtigkeit
Für die Lehrkräfte ist es relativ einfach, Ziffernnoten zu vergeben. Allerdings erfüllen diese Noten ihren Zweck meistens nicht, denn sie suggerieren eine Vergleichbarkeit, die sie kaum abbilden können. In der Realität werden individuelle Leistungen durch Noten verwischt, der Schüler dahinter wird nicht gesehen.
Die Note drei kann bei einem Schüler bedeuten, dass er sich gemäß seinen Möglichkeiten stark verbessert hat. Bei einem anderen kann es genau das Gegenteil sein. Die individuelle Leistung wird durch die Note nicht ausgedrückt. Das gelingt hingegen einem sorgfältigen Wortgutachten, bestenfalls gekoppelt mit einem persönlichen Gespräch.
Zu wenig Lehrer – weiter mit den Ziffernnoten
Fakt ist auf jeden Fall auch, dass in den hessischen Schulen ein immenser Lehrermangel herrscht. Ein individuelles Gutachten für jedes einzelne Kind zu erstellen, ist bei der aktuellen Situation zeitlich kaum möglich, auch wenn es pädagogisch sinnvoll ist.
Die Leistungen der Schülerinnen und Schüler werden durch Noten („sehr gut“ bis „ungenügend“) oder Punkte (15 bis 0 Punkte) bewertet, soweit die Leistungen für die Erteilung von Zeugnissen und entsprechenden Nachweisen erheblich sind. Das Gleiche gilt für die Beurteilung des Arbeits- und Sozialverhaltens der Schülerinnen und Schüler in Zeugnissen. Eine aufwärts oder abwärts gerichtete Tendenz kann bei einer Leistungsbewertung durch eine Anmerkung oder – mit Ausnahme von Zeugnissen – durch ein in Klammern gesetztes Plus oder Minus charakterisiert werden.