Solange Kinder noch nicht zwischen sich selber und ihrer Umwelt unterscheiden können, sind sie zu Unwahrheiten oder Lügen überhaupt nicht in der Lage. Doch mit dem Bewusstsein des eigenen Ichs wird das anders. Plötzlich bleibt der kleine Sonnenschein nicht mehr bei der Wahrheit, lügt zwar ungeschickt und offensichtlich, aber er lügt. Was passiert, wenn Kinder lügen?
4 Gründe für die Lüge bei Kindern
Für Kinder ist es gar nicht so einfach zu entscheiden, wann Lügen erlaubt ist und wann nicht. Immerhin gehen sie mit offenen Augen und Ohren durchs Leben und bekommen natürlich mit, dass ihre Eltern und andere Erwachsene immer wieder zu Notlügen greifen. Außerdem hören sie Märchen und Geschichten, in denen es bei weitem nicht immer mit der Wahrheit zu geht. Im Laufe der Jahre, ungefähr mit Eintritt der Schulreife, sollten sie lernen zu unterscheiden, wann das Verbiegen der Wahrheit in Ordnung ist und wann Lügen unangemessen sind. Greifen sie dennoch immer wieder zu Unwahrheiten, kann das verschiedene Gründe haben.
1. Lügen aus Angst vor Strafe
Obwohl in den meisten Familien heutzutage das Bestrafen für kleine Unfälle, wie zerbrochenes Geschirr oder eine bemalte Tapete, keine allzu große Rolle mehr spielt, gibt es doch noch viele Kinder, die sich nicht trauen solche Ungeschicke zuzugeben. Sie schieben die Schuld auf andere, denn sie schätzen die Reaktion ihrer Eltern falsch ein und haben Angst, sich den Konsequenzen ihrer Tat zu stellen. Auch bei anderen Personen, zum Beispiel bei Freunden oder Bekannten, trauen sie sich nicht Fehler zuzugeben. Sie möchten die Verantwortung nicht übernehmen und lassen sich lieber zu unbedachten Lügen hinreißen.
Mit der Zeit lernen sie jedoch, dass die erste Lüge eine weitere nach sich zieht, bis sie sich in einem Geflecht aus Unwahrheiten verstrickt haben, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt. Eltern können ihren Kindern helfen, in dem sie ihnen den Weg zur Wahrheit ebnen und auf das Beichten aller „Vergehen“ verständnisvoll und straffrei reagieren. Geht es ohne Strafe nicht, so sind logische Konsequenzen für Kinder am besten nachzuvollziehen. Das zerbrochene Glas soll selber zusammen gefegt werden, der verdreckte Teppich gesaugt und die stibitzten Süßigkeiten vom eigenen Taschengeld neu gekauft werden.
2. Lügen aus Angeberei und dem Wunsch nach Anerkennung
Kinder mit einem schwachen Selbstbewusstsein suchen oft immer wieder die Anerkennung anderer, indem sie mehr oder weniger fantasievolle Geschichten erfinden. Da wird dann der Vater zum Bankdirektor gemacht, die Eigentumswohnung als Schloss mit Park verkauft oder ein imaginärer Schäferhund angepriesen. Natürlich sind diese Lügen nicht von langer Dauer, den schnell bekommen die anderen heraus, dass es sich dabei nur um Hirngespinste handelt. Wenn ein Kind mit diesen Übertreibungen nicht von selber aufhört, braucht es oft mehr Selbstbestätigung als es bekommt. Eltern sollten dann darauf achten, die Stärken und Talente ihres Kindes häufiger hervorzuheben und ihm zu Erfolgserlebnissen verhelfen. Füllt ein Kind sich stark und selbstbewusst, braucht es keine Lügengeschichten mehr zu erfinden.
3. Lügen aus Überforderung
Manche Kinder lügen, weil sie den alltäglichen Anforderungen nicht gewachsen sind. Verträumte und langsame Kinder behaupten oft, sie hätten längst die Zähne geputzt oder ihre Spielsachen weggeräumt, obwohl dies nicht stimmt. In der Schule werden schlechte Noten verschwiegenen, um die Eltern nicht zu enttäuschen oder Konflikte geleugnet, weil Streit unerwünscht ist. Diese Kinder lügen nicht aus böser Absicht, sondern sie wissen sich einfach nicht anders zu helfen. Sich selbst und ihren Eltern einzugestehen, dass sie mehr Zeit brauchen, jemanden doof finden oder leistungsmäßig an ihrer Grenze sind, überfordert sie. Eltern sollten in diesem Fall die Anforderungen herunter schrauben und ihrem Kind mehr Luft zum Entwickeln geben.
4. Lügen aus Höflichkeit und Rücksichtnahme (Notlügen)
Gegen Notlügen ist überhaupt nichts einzuwenden, denn ohne sie wäre ein friedliches Zusammenleben im Alltag wohl kaum denkbar. Um so besser, wenn Kinder schon früh erkennen, wann die Wahrheit angebracht ist und wann sie besser zu einer Flunkerei greifen. Es ist für alle Beteiligten besser, wenn das Nachbarkind aus Zeitmangel weggeschickt wird, als wenn es immer wieder hört, wie blöd es ist.
Je öfter Kinder positive Reaktionen auf ihre eigene Ehrlichkeit erleben, desto eher hören sie mit dem Lügen auf. Eltern sind gut beraten, kleine Flunkereien nicht zu ernst zu nehmen, Kinder beim Ertappen einer Lüge nicht bloß zu stellen sondern gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Das können Sie tun, wenn Sie Ihr Kind bei einer Lüge ertappen
1. Eltern haben Vorbildfunktion. Überlegen Sie, wie Ihr eigenes Verhalten in Bezug auf das Lügen aussieht. Bemühen Sie sich um Ehrlichkeit und Offenheit und lügen Sie Ihr Kind nicht an. Das gilt auch bei peinlichen Fragen und schmerzhaften Wahrheiten.
2. Helfen Sie Ihrem Kind Alternativen zur Lüge zu finden. Wie kann es in einer ähnlichen Situation ohne Lüge bestehen?
3. Bestrafen Sie Lügen nicht zu hart. Zieht das Verhalten Ihres Kindes Konsequenzen nach sich, begründen Sie diese.
4. Beschämen Sie Ihr Kind nicht durch das strikte Einfordern von Schuldgeständnissen. Geben Sie ihm die Möglichkeit sein Gesicht zu wahren.
5. Leugnet Ihr Kind hartnäckig, lassen Sie sich erzählen, was passieren könnte, wenn die Sache ans Licht käme. So erfahren Sie auch, warum das Kind lügt. Darauf können Sie dann einfühlsam reagieren.
6. Behandeln Sie Ihr Kind gerecht und stellen Sie ihm keine Falle. Es ist immer geschickter, das Thema direkt anzusprechen.
7. Ist die Situation für Ihr Kind völlig verfahren, schaffen Sie die Sache gemeinsam aus der Welt. Es lernt so Lösungswege kennen und dass es mit der Wahrheit weiter kommt als mit einer Lüge.
8. Blamieren Sie Ihr Kind nicht vor anderen, indem Sie seine Lüge bloßstellen. Klären Sie die Situation unter vier Augen.
9. Belohnen und loben Sie Ihr Kind häufiger, wenn es mutig die Wahrheit sagt.
10. Haben Sie selbst einmal geschwindelt, müssen Sie Ihrem Kind erklären warum. Es soll verstehen, dass lügen vorkommen kann, aber nicht in Ordnung ist.
So reagieren Sie richtig, wenn Sie Ihr Kind bei einer Lüge ertappen
Ob aus Angst vor Strafe, aus Bequemlichkeit oder um ein Lob zu ergattern – jedes Kind hat schon einmal zu einer Lüge gegriffen, das ist menschlich. Ob die Lüge schwerwiegend ist, oder ob sie vielleicht am besten ignoriert werden sollte, müssen Sie als Eltern jedes Mal aufs Neue entscheiden. Gar nicht so leicht, diese moralische Gradwanderung Tag für Tag zu bewältigen.
Der Umgang mit der Wahrheit, oder dem Gegenteil davon, ist nicht einfach. Wissenschaftler streiten gerne darüber, wie oft ein Mensch pro Tag die Unwahrheit sagt. Dass er es tut, ist unstrittig. Das Lügen oder Flunkern gehört zur menschlichen Natur dazu. Es ist ein wichtiges Kommunikationsmittel, durch das vermutlich viele Konflikte verhindert werden. Das betrifft Erwachsene ebenso wie Kinder. Flunkern oder Notlügen sind wie ein gesellschaftliches Schmiermittel, sie können aus dem Erziehungsalltag nicht verbannt werden. Doch die Fähigkeit des angemessenen Lügens müssen Kinder erst lernen, wie so vieles andere auch.
Beim schwierigen Thema Lüge und Wahrheit wird gerne mit zweierlei Maß gemessen. Beim langweiligen Unterricht des Lehrers soll das Kind zwar Interesse heucheln, über eine schlechte Note oder einen Streit mit dem Tischnachbarn darf es jedoch nicht die Unwahrheit sagen. Der Umgang mit der Wahrheit ist kompliziert, Lügen können zu Schuldgefühlen und die Wahrheit zu Kränkungen führen. Mit den Jahren können Kinder immer besser einschätzen, wann sie besser ehrlich sind und wann eine Lüge angebracht ist.
Bei diesen Lügen müssen Sie reagieren
Oft spüren Eltern ganz genau, welche Lüge Ihres Kindes sie besser überhören (oder ihr Kind später, bei geeigneter Gelegenheit darauf ansprechen) und wo sie direkt eingreifen müssen. Schützt Ihr Kind mit seiner Lüge einen Freund, möchte es jemanden vor Enttäuschungen bewahren oder sich einen kleinen Vorteil verschaffen, können Sie auch schon mal ein Auge zudrücken. Bringt Ihr Kind sich jedoch mit der Lüge in Gefahr, verheimlicht es entscheidende Informationen oder vertuscht sogar einen Diebstahl oder einen schwierigen Konflikt, müssen Sie unbedingt eingreifen.
Beispiele für Lügen und deren Gewichtung
Flunkereien, bei denen Sie nicht immer direkt reagieren müssen | Lügen, die Sie Ihrem Kind nicht durchgehen lassen sollten | So reagieren Sie geschickt |
„Ich habe meine Zähne ganz bestimmt drei Minuten lang geputzt.“ Solange Ihr Kind überhaupt regelmäßig putzt, können Sie über die ein oder andere fehlende Minute hinwegsehen. | „Die Klassenarbeit haben wir noch nicht zurück bekommen.“ In der Grundschule müssen die Eltern die Noten des Kinder sehen, nur so können Sie ggf. Maßnahmen einleiten, um ihrem Kind zu helfen. | Nehmen Sie Ihr Kind liebevoll in den Arm und fragen Sie es, ob Sie seine Lehrerin anrufen und nachfragen sollen. So machen Sie deutlich, dass das Verheimlichen nichts nutzt und dass Ihr Kind keine Angst vor Konsequenzen haben muss. |
„Mein Schulbrot habe ich gegessen.“ Sie können sowieso nicht überprüfen, ob das stimmt. Wenn Ihr Kind sein Frühstück nicht mag, wird es sich schon früher oder später beschweren und etwas anderes einfordern. | „Ich bin nicht bei Facebook, Wer kennt wen oder anderen sozialen Netzwerken.“ Über die Internetaktivitäten Ihres Kindes müssen Sie informiert sein, um möglichen Schaden von ihm abwenden zu können. | Zeigen Sie Ihrem Kind, wie leicht Sie über das Internet feststellen können, ob es lügt (www.yasni.de oder direkt bei den Portalen). Sprechen Sie über die Gefahren und einigen Sie sich ggf. auf einen kontrollierten Zugang. |
„Pia hat mit dem Streit angefangen.“ Bei Streitigkeiten zwischen Kindern ist es immer sehr schwer, den wahren Verlauf zu rekonstruieren. Wenn beide ihre Unschuld beteuern, lügt einer. Da Kinder ihre Konflikte aber sowieso am besten selber austragen, können Sie die Lüge meistens ruhig ignorieren. | „Ich habe heute keine Hausaufgaben auf.“ Kinder müssen zwar lernen, zunehmend selbstständig zu arbeiten und Verantwortung zu übernehmen, aber ein gewisses Maß an Kontrolle müssen Eltern ausüben können. | Vereinbaren Sie tägliche Lernzeiten, in denen Ihr Kind am Schreibtisch arbeitet. Verheimlicht es Hausaufgaben, hat es trotzdem keine lernfreie Zeit, sondern arbeitet Schulinhalte vor oder nach. Ihr Kind hat nun keinen Nutzen mehr von der Lüge und wird vermutlich lieber seine Hausaufgaben machen, als etwas anderes. |
Sprechen Sie über Vertrauen mit Ihrem Kind
Natürlich ist es enorm wichtig zu erkennen, warum ein Kind lügt. Fehlendes Vertrauen, Angst, Schuldgefühle oder Vorteilsnahme sollten Sie nicht ignorieren. Wenn Ihr Kind jedoch nur etwas angeben will (mein großer Bruder tritt bei „the voice of germany“ auf) ist das nicht beängstigend, sondern ein ganz normaler Entwicklungsschritt. Schnell wird Ihr Kind ganz von selber erkennen, dass solche Lügen „kurze Beine“ haben und sich oft negativ auswirken. Niemand, auch Ihr Kind, will nämlich als Lügner dastehen.