Eine Dyskalkulie-Therapie beginnt am besten so früh wie möglich. Oft fällt den Eltern schon vor der Schule auf, dass Ihr Kind mit Zahlen nicht viel anfangen kann. Dann können Sie bereits den Lehrer informieren.
Ab der ersten Klasse können und sollten Lehrer die betroffenen Kinder herausfiltern und ihnen angemessenen Unterricht erteilen. Das bedeutet, jeden Lernschritt abzusichern, damit die betroffenen Kinder nicht den Spaß an der Mathematik verlieren. Ist eine Dyskalkulie sehr ausgeprägt, sodass eine drohende seelische Behinderung befürchtet werden muss, ist eine außerschulische, individuelle Förderung und Therapie notwendig.
Dyskalkulie-Therapie ergänzt den Unterricht
Mit einer fachärztlichen Diagnose und einer Stellungnahme des zuständigen Lehrers können die Erziehungsberechtigten versuchen, die Übernahme der Kosten für eine Dyskalkulietherapie beim Jugendamt nach den Richtlinien des KJHG (Kinder- und Jugendhilfegesetz) über den § 35a erstattet zu bekommen.
Was passiert in der Dyskalkulie-Therapie?
Die Therapie setzt grundsätzlich an den Lernvoraussetzungen des Kindes an. Von den positiven Ressourcen ausgehend, wird an der Wiederherstellung seines Selbstbewusstseins gearbeitet. Dies kann zu Beginn der Therapie durch den Einsatz spielerischen Materials geschehen, durch Malen, Singen, Bewegen oder durch konzentrative Übungen.
Dieses Vorgehen unterscheidet sich grundlegend vom schulischen Mathematikförderunterricht. Ziel ist es, den Leistungsdruck des Kindes zu verringern und ein motivierendes Lernklima zu schaffen.
Diagnose als Arbeitsgrundlage für eine Dyskalkulie-Therapie
Anhand vorhandener Diagnosen und Gutachten sowie eigener Diagnostik werden die aktuelle Lernhaltung, der psychosoziale Zustand sowie der genaue Leistungsstand des Kindes erfasst. Die einzelnen Wahrnehmungsbereiche, Motorik, Gedächtnisleistungen sowie die Konzentrationsfähigkeit, Lernmotivation werden überprüft.
Diese Erkenntnisse bilden die Grundlage für einen Therapieplan, der in Teilziele aufgegliedert und regelmäßig dokumentiert wird.
Der Lerntherapeut muss ein Kind da abholen, wo es steht
In der Therapie müssen die mathematischen Grundlagen auf dem Lernstand, auf dem sich das Kind befindet, “begreifbar” gemacht werden. Der Zahlenraum, in dem sich das rechenschwache Kind sicher bewegen kann, in dem es also eine Mengenvorstellung besitzt und Rechenaufgaben lösen kann, dient als Basis.
Hierauf aufbauend muss die Mengenvorstellung erweitert werden, um vom reinen Zählen zum Rechnen zu kommen, und damit den Zahlenraum zu erschließen. Dem Kind muss dazu z.B. der Unterschied von Ziffer und Zahl klar sein.
Erstes Material muss “begreifbar” sein
Das Lernen erfolgt zunächst mit dreidimensionalem Übungsmaterial und wird in einem zweiten Schritt durch Arbeitsblätter ersetzt. Erst wenn hier Sicherheit erlangt worden ist, kann mit Kopfrechnen begonnen werden.
Dyskalkulie-Therapie in der Vorklasse: Beispiel
Ein 6jähriger Junge besucht die Vorklasse einer Grundschule. Aufgrund des Sindelar Baum Tests wird den Eltern empfohlen, das Kind vor der Einschulung in die erste Klasse zu fördern. Besonders auffällig sind das kindliche Verhalten und das absolute Desinteresse am Rechnen.
In der Lerntherapie werden innerhalb von 5 Monaten folgende Inhalte bearbeitet:
- Zählen von 0 bis 10 anhand von vielfältigen Symbolen und Grafiken unter Einbeziehung der körperlichen Aktivität, z.B. malen, kneten, springen, etc.
- Vorgänger und Nachfolger finden mit und ohne Visualisierungshilfe Mengen von 1 bis zu 4 erfassen, ohne sie zu zählen,
- mit Würfeln, Kugeln, Bildern, Fingern, etc. Ähnlichkeiten finden,
- Gruppe bilden, z.B. Portraitfotos nach bestimmten Kriterien zu sortieren Mengen aufteilen mit Kugeln, anhand des Klapenspiels, mit Stäbchen, etc.
- einer Menge eine Zahl zuordnen, z.B. einem Bild mit 4 Kraken die Zahl 4 hinzufügen
- Reihen und Muster fortführen
- Kennenlernen von Dreick, Viereck, Kreis
- 0 bis 10 Felder eines Zehnerzahlenstrahles mit Aufklebern abkleben, dann fehlende Felder zählen
- Memory mit Kärtchen, die Zahlen oder Mengen darstellen
- Zählbilder malen, z.B. “Auf einer Wiese stehen 5 Bäume, daran hängen jeweils 3 Pflaumen…”
Verlauf der Dyskalkulie-Therapie – ein Erfahrungsbericht
“Anfangs war der Junge extrem verspielt und konnte sich nur sehr kurze Zeit konzentrieren. Er zog immer zuerst seine Schuhe aus und hüpfte dann auf den Stuhl. Ohne motivierendes Begleitmaterial war er nicht zum Mitarbeiten zu bewegen, sondern erzählte munter von seinem Tag. Manchmal verfiel er auch in Blödsinnsprache – meiner Ansicht nach ein Zeichen einer Überforderung. Zur Motivation arbeitete ich anfangs mit Turtles Figuren, die das Arbeiten des Jungen kommentierten oder ihn anspornten. Darauf ließ er sich ein. Nach einigen Terminen wurden diese Motivator überflüssig und wir konnten direkter miteinander umgehen.
Im Anschluss an jede Stunde fand ein kurzes Elterngespräch statt, in dem ich den Inhalt der Stunde erklärte und einen Auftrag für Zuhause mitgab, z.B. Dinge suchen, die rund sind – etwas mit 4 Ecken finden – ein Zählbild malen, etc. Diese wurden auch stets ausgeführt, die Eltern arbeiteten engagiert und interessiert mit.
Das Arbeitsverhalten des Jungen wurde langsam besser, er konnte sich zunehmend länger konzentrieren und auf die Aufgaben einlassen. Ein mathematisches Verständnis entwickelte sich jedoch nur lagsam. Nach 5 Monaten konnte er zwar Mengen abzählen, aber selbst einfachste Aufgaben wie 2 + 2 nicht eigenständig lösen, ohne zu zählen.
Nahm er für eine Aufgabe wie 3 + 2 seine Finger zu Hilfe (an jeder Hand die entsprechende Zahl) kam er trotzdem zu einem falschen Ergebnis. Er zählte dann einfach alle Finger.
Inzwischen ist ein weiteres halbes Jahr vergangen und der Junge besucht die erste Klasse seit einigen Monaten. Seit den Herbstferien macht er große Fortschritte. Mengen aufteilen, Rechenaufgaben bis 10 bewältigen, ein Vorstellungsverständnis für Mengen entwickeln und ein “ernsthaftes” Arbeitsverhalten sind positive Ergebnisse der Lerntherapie.